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Ein Leben ohne Kanalsystem wäre unvorstellbar
Um in unbekannte Gefilde vorzudringen, ist weder der Flug auf den Mond noch auf den Mars notwendig. Eine vollkommen andere Welt befindet sich wortwörtlich direkt unter uns. Die Rede ist vom weit verzweigten Tiroler Kanalsystem mit seinen Kläranlagen. Sie leisten meist vollkommen unbemerkt, einen unverzichtbaren Beitrag zur Gesundheit von Menschen, Tieren und der Umwelt.
Ein verlässliches Kanalnetz ist keine Selbstverständlichkeit, sondern mit jeder Menge Arbeit und enormen Kosten verbunden. Eine Tatsache, die uns im Alltag oft nicht bewusst ist und die mit Aufwänden verbunden ist, die wir mit teils falschem Verhalten im eigenen Haushalt jährlich in die Höhe treiben. Genau deshalb wagen wir eine Entdeckungstour durch die unglaublichen Dimensionen aus unterirdischen Rohren der Tiroler Abwasserverbände:
Es kommt (nicht) auf die Größe an: Tirols Kanal in Zahlen
In Tirol gibt es unvorstellbare 8.500 km Kanal – wobei 7.000 km auf Abwasserkanäle entfallen und 1.500 km auf Regenwasserkanäle. Doch dabei bleibt es nicht. Das Kanalnetz wächst Jahr für Jahr weiter. Immerhin muss jeder Neubau an den bestehenden Kanal angebunden werden. Auf seinen Wegen quer durch das ganze Bundesland bringt das Kanalsystem alljährlich 110 Millionen Kubikmeter Abwasser zu den 54 Tiroler Kläranlagen. So viel Wasser könnte nicht einmal der größte See Tirols auf einmal aufnehmen!
Kanalnetz ist nicht gleich Kanalnetz. Je nachdem, wo sie verwendet werden und was ihre Aufgabe ist, variiert die Größe der Rohre. Während der Durchmesser von kleinen Pumpendruckleitungen beispielsweise bloß 8 cm aufweist, können die bis zu 300 cm großen Rohre in Innsbruck sogar begangen werden. Die Durchschnittsgröße bei Hausanschlüssen liegt bei 15 cm.
Über Berg und Tal: Alpine Herausforderungen für Mensch und Kanal
Im Gegensatz zum Flachland sind nicht nur Hebewerke und Pumpanlagen, sondern auch kreative Konstruktionen notwendig, um das (Ab-)Wasser durch Schluchten, Felsen oder Moore zu transportieren.
Wie schnell das Abwasser im Kanalnetz fließt, ist vom Gelände abhängig – und genau das hat in Tirol seine Höhen und Tiefen. Um Gräben und Hügel zu überwinden, sind Hebewerke – also eigene Pumpanlagen – erforderlich. Manchmal sind auch kreative Konstruktionen notwendig, um das (Ab-)Wasser durch Schluchten, Felsen oder Moore zu transportieren. An einigen Stellen wird das Abwasser mit so genannten „Dükerleitungen“ sogar unter dem Inn durchgeführt. Die Errichtung und Instandhaltung ebendieser Umwege, die etwa bei Gipfelrestaurants in Skigebieten oder Almen erforderlich sind, sind extrem aufwendig und kostenintensiv. Gleichzeitig sind die hochalpinen Kanalanschlüsse aber äußerst effektiv: In einer durchschnittlichen Wintersaison braucht das Abwasser der Pitztaler Gletscherbahnen beispielsweise fünf Stunden, um die 30 km vom Gletscher – dessen höchster Punkt auf 3.440 m liegt, bis zur nächsten Kläranlage zurückzulegen. Bei ca. 4.000 Tagesgästen ist das eine durchaus beeindruckende Abwassermenge!
Der erhebliche Aufwand, der im alpinen Raum mit dem Kanal und seinen Anschlüssen verbunden ist, lässt die dafür aufgewendete Summe bereits erahnen: Allein in Tirol liegen die Kosten im Milliardenbereich! In Österreich wurden seit 1959 insgesamt 34 Milliarden Euro investiert, 11 Milliarden Euro flossen in die Errichtung von Kläranlagen. Denn die gibt es noch gar nicht so lange: Die meisten Klärwerke wurden in den Jahren von 1975 bis 2000 errichtet.
„Was wäre, wenn…“: Ein Leben ohne Kanalisation
Wissenschaftlich bewiesen ist, dass die Wasserver- und Abwasserentsorgung, direkt nach Impfungen, der wichtigste Beitrag zur Gesundheit der Menschen auf der ganzen Welt ist. So konnte die Cholera-Epidemie im 19. Jahrhundert durch den Bau der städtischen Kanalisation gestoppt werden. Das ist auch der Grund, warum einige Kanalabschnitte im urbanen Tirol aus dem 19. Jahrhundert stammen. In ländlichen Gebieten wurde das Kanalnetz hingegen oftmals erst nach dem 2. Weltkrieg errichtet.
Gäbe es keinen Kanal würde weder Abwasser zu den Kläranlagen noch sauberes Wasser von den Kläranlagen weitertransportiert. Ob bei Privatunterkünften, Tourismus- oder Industriebetrieben: Überall würde das Abwasser ungefiltert im Boden versickern oder im Fließgewässer landen. Das größte Problem daran wären die schädlichen Abfallprodukte der Industrie sowie Waschmittel.
Und auch eine fehlende Instandhaltung des Kanalnetzes hätte beträchtliche Folgen. Durch falsch entsorgte Abfälle können tonnenschwere Fettklumpen entstehen, die den Kanal blockieren und sogar ganze Abflusssysteme zum Erliegen bringen. Dementsprechende Meldungen, beispielsweise aus Großbritannien, schaffen es immer wieder in die Medien. In Tirol ist die Bildung eines solchen Fett-Monsters mehr als unwahrscheinlich, dem wirkt nämlich das durchdachte Tiroler-Fettsammelsystem „Öli“ entgegen. Außerdem wird laufend in die Sanierung des Kanalsystems investiert und die zuständigen Abwasser-Experten sind bestens aufgestellt. Sie untersuchen die Kanalisation regelmäßig auf Ablagerungen und Schäden, die durch aggressive Abwasserinhaltsstoffe verursacht werden.
Der Zahn der Zeit macht auch vor dem Tiroler Kanal nicht Halt
Wie oft ein Kanal saniert werden muss, hängt von äußeren Bedingungen wie dem Gelände oder dem Grundwasser ab. Letztendlich entscheiden Kamerafahrten und Dichtheitsproben, zu denen die Kanalbetreiber verpflichtet sind, über das Einschreiten der Spezialisten.
Fällt der Entschluss für eine Sanierung kann diese entweder durch Rohrtausch oder grabenlos erfolgen. Auf die Variante ohne Aufgraben des Bodens wird vor allem in Städten zurückgegriffen, da dort prinzipiell wenig Platz für Bauarbeiten ist und im Erdreich massenweise Leitungen und Kabel liegen. Bei dieser Art der Sanierung wird ein neues Rohr im alten Rohr angebracht. Das gelingt, indem das neue Rohr in Form eines Schlauches in das bestehende Rohr eingezogen wird. Anschließend wird dieser Schlauch auf die Größe des bestehenden Rohres aufgeblasen und mit speziellen Materialien ausgehärtet. Es entsteht ein neues Rohr im alten Rohr.
In Zukunft wird es viele solcher Sanierungen geben. Denn das Tiroler Kanalnetz ist größtenteils mehr als 50 Jahre alt und damit sind viele Rohre bereit für ihren „Ruhestand“. Eine unerlässliche Investition in die Zukunft, denn ohne Kanal geht es nicht!